Der Zusammenhang zwischen Bildungserfolg und sozialer Herkunft gilt als eine der zentralen bildungspolitischen Herausforderungen unserer Zeit. Im Vorfeld der Bundestagswahl werfen wir einen Blick in die Programme der im Bundestag vertretenen Parteien und fragen bei ihren Bildungspolitiker:innen persönlich nach, wie sie das Thema soziale Ungleichheit in der kommenden Legislaturperiode konkret angehen wollen. Ein Überblick von Jakob Geweke und José-Luis Amsler.
„In Deutschland (gibt es) einen engen Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und der schulischen Bildungsbeteiligung sowie den Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern in verschiedenen Bereichen”. Diesen lange bekannten und vielfach untermauerten Befund fassen Forell et al. (2024) in einem Beitrag im Auftrag der Wübben Stiftung zusammen, der die Ergebnisse der wichtigsten nationalen und internationalen Schulleistungsstudien seit dem Jahr 2000 systematisch ausgewertet und gegenübergestellt hat.
Schüler aus privilegierten Familien erreichen laut der Studie in Deutschland insgesamt „durchschnittlich signifikant bessere Leistungen und höhere Bildungsabschlüsse” als Schüler aus weniger privilegierten Familien. Es ergibt sich daher für sozioökonomisch benachteiligte Schüler:innen eine kumulative Benachteiligung „an den Schnittstellen und Endpunkten ihrer Schullaufbahn”. Neben dem sozioökonomischen Status der Eltern spielen bei der Untersuchung von Herkunftseffekten primär Indikatoren wie der Buchbesitz (über oder unter 100 Bücher pro Haushalt) oder der Zuwanderungshintergrund des Elternhaushaltes eine Rolle.
Doch wie reagiert die Politik auf diese Befunde? Mit dem Startchancen-Programm für die bundesweite Unterstützung von 4.000 Schulen in herausfordernder Lage ist in der vergangenen Legislaturperiode ein erster Schritt gemacht worden, um sozioökonomisch benachteiligten Schüler:innen bessere Bildungschancen zu eröffnen. Darüber, wie es in der kommenden Legislaturperiode mit dem Thema Bildungsungleichheit weitergehen soll, gehen die Programme und Positionen der Bildungspolitiker:innen der im Bundestag vertretenen Parteien teilweise deutlich auseinander, aber es gibt auch wichtige Schnittmengen. Die Programme im Überblick.1
SPD – Fachkräfteoffensive und “Startchancen-Programm für Kitas”
Wie fast alle im Bundestag vertretenen Parteien will die SPD in der kommenden Legislatur einen deutlichen Fokus im Bereich frühkindlicher Bildung setzen. „Kein Kind soll ohne die nötigen Grundfertigkeiten in die Schule starten”, heißt es im Wahlprogramm der Sozialdemokraten. So soll bereits im Vorschulalter eine verbindliche Förderung für diejenigen Kinder eingeführt werden, die bestimmte Mindeststandards nicht erfüllen. Verpflichtende Sprachtests im Vorschulalter – wie sie etwa CDU/CSU und FDP vorschlagen – fordert die SPD auf Bundesebene nicht ausdrücklich, hatte einer solchen Regelung im Rahmen der Koalitionsverhandlungen mit CDU und BSW in Thüringen vergangenes Jahr aber zugestimmt.
Hinsichtlich der Verringerung von Bildungsungleichheit setzt die SPD in ihrem Wahlprogramm vor allem auf eine treffsichere, bedarfsorientierte Verteilung von Haushaltsmitteln. „Wie schon beim Startchancen-Programm wollen wir unsere Mittel gezielt dort einsetzen, wo vorgefundene Nachteile bei den Bildungshintergründen von Elternhaus oder Nachbarschaft zu Nachteilen für die Bildungschancen von Kindern werden”, erklärt Oliver Kaczmarek, bildungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, auf Nachfrage.
Das in der Ampel-Regierung auf den Weg gebrachte Startchancen-Programm wollen die Sozialdemokraten in der kommenden Legislaturperiode deutlich erweitern. „Wir wollen das Programm Schritt für Schritt so ausbauen, dass es nicht nur jede zehnte, sondern die Hälfte aller Schulen erreicht, und zwar auf Dauer”, so Kaczmarek. Darüber hinaus soll unter einer Regierung mit SPD-Beteiligung ein neues Investitionsprogramm für Kitas in benachteiligter Lage auf den Weg gebracht werden, „um Kinder am Beginn ihrer Bildungsbiographie in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld wirksam zu fördern”, wie der SPD-Politiker erklärt. Welchen Umfang ein solches „Startchancen-Programm für Kitas” letztlich haben könnte, bleibt allerdings unklar.
Um die im Wahlprogramm vorgeschlagenen massiven Neuinvestitionen überhaupt finanzieren zu können – bei etwa gleichbleibenden Kosten würde allein der geplante Ausbau des bereits angelaufenen Startchancen-Programms wohl viele Milliarden Euro kosten – will die SPD eine Reform der Erbschafts- und Schenkungssteuer umsetzen, sowie die Schuldenbremse lockern.
Wie schon beim Startchancen-Programm wollen wir unsere Mittel gezielt dort einsetzen, wo vorgefundene Nachteile bei den Bildungshintergründen von Elternhaus oder Nachbarschaft zu Nachteilen für die Bildungschancen von Kindern werden
-Oliver Kaczmarek
Im Hinblick auf die flächendeckende Ganztagsbetreuung an Grundschulen will die SPD weiter am bereits unter der Großen Koalition beschlossenen Ganztagsförderungsgesetz festhalten. „Der ab 2026 schrittweise geltende Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder ist für mehr Chancengleichheit ebenso zentral wie für mehr Verlässlichkeit in der Bildung”, betonen die Sozialdemokraten in ihrem Wahlprogramm.
Da ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Hinblick auf mehr Bildungsgerechtigkeit zwar wünschenswert ist – angesichts personeller Unterbesetzung an vielen Schulen jedoch nach wie vor schwer umsetzbar erscheint – will die SPD die vorgeschlagenen Maßnahmen außerdem an eine umfassende „Fachkräfteoffensive” koppeln. So sollen unter anderem die Ausbildungskapazitäten in Bildungsberufen gezielt ausgebaut und ein rechtlicher Anspruch auf Ausbildungsgehälter für Erzieher:innen durchgesetzt werden. Außerdem will die SPD künftig verstärkt auf multiprofessionelle Teams sowie auf die gezielte Anwerbung von Quereinsteiger:innen setzen.
Ähnliche Maßnahmen zur Fachkräftegewinnung hatten die Sozialdemokraten bereits in vergangenen Wahlkämpfen vorgeschlagen, diese in der gemeinsamen Regierung mit Grünen und FDP jedoch nur teilweise – zum Beispiel in Form der Säule 3 des Startchancen-Programms – umgesetzt.
CDU/CSU – Verpflichtende Sprachtests im Vorschulbereich und mehr Bildungsdaten
CDU und CSU formulieren in ihrem Wahlprogramm das klare Ziel, Bildungserfolg und sozialen Hintergrund voneinander zu entkoppeln. Thomas Jarzombek, bildungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, sieht in der „Abhängigkeit des Bildungserfolgs vom Elternhaus eine der zentralen sozial- und wirtschaftspolitischen Herausforderungen“ und unterstreicht das im Wahlprogramm formulierte Ziel, dass Kinder „unabhängig von Herkunft und Geldbeutel die Chance (bekommen müssen), das Beste aus sich herauszuholen“.
Das von der Ampel-Koalition initiierte Startchancen-Programm setze laut Jarzombek dabei jedoch am falschen Punkt in der Bildungsbiografie an. Seine Partei möchte daher verstärkt den Fokus auf die frühkindliche Bildung legen. So müssten laut dem CDU-Politiker „Bildungsangebote und Sprachförderung (…) viel gezielter schon vor der Einschulung beginnen“. Als zentrale Maßnahme schlägt er „für alle 3- bis 4-jährigen Kinder eine bundesweite Diagnostik zu ihrem Entwicklungsstand und ihren Deutschkenntnissen“ vor, aus der „für Kinder mit festgestelltem Förderbedarf ein verpflichtendes vorschulisches Programm“ hervorgehen soll.
Dafür möchten die Christdemokraten unter anderem das Bundesprogramm Sprachkitas nutzen, mit dem bereits seit 2016 Kitas mit einem hohen Anteil an Kindern mit besonderem sprachlichen Förderbedarf mit einer zusätzlichen Fachkraft mit Expertise im Bereich Sprache und einer Fachberatung unterstützt werden. Um die „Schulreife aller Kinder” zu erreichen, fordern CDU und CSU in ihrem Programm außerdem die Einführung von Mindeststandards für den frühkindlichen Bereich und ein „Investitionsprogramm (für) Länder und Kommunen beim Ausbau der Betreuungsplätze“. Dazu, wie solche Mindeststandards aussehen und wie hoch die Zuschüsse innerhalb eines solchen Investitionsprogramms ausfallen sollen, machen die Unionsparteien keine Angaben.
Evidenzbasierte Bildungspolitik benötigt Daten. Deshalb fordern wir Bund und Länder auf, ein bundesweites Bildungsverlaufsregister über alle Stufen formaler Bildung zu schaffen und einen regelhaften Zugang der Forschung zu diesen Daten vorzusehen. -Wahlprogramm der CDU/CSU
Um flächendeckend Bildungserfolg im Bereich Schule zu unterstützen, setzen CDU und CSU im Wahlprogramm verstärkt auf den Ausbau von Ganztagsangeboten. So priorisiert die Union den „Ausbau ganztägiger Bildungsangebote für Grundschulkinder“, die für ihren Bildungserfolg insbesondere in den Bereichen „Lesen, Schreiben, Rechnen“ gezielt „gefordert und gefördert“ werden müssten. Darüber hinaus wollen die Unionsparteien vor allem „Kompetenzen in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT)” und digitale Kompetenzen im Rahmen eines Digitalpakts 2.0 stärken. Auf die gezielte Förderung sozioökonomisch benachteiligter Schüler:innen verweisen die Parteien dabei jedoch nicht.
Um die Entwicklungsstände und Förderbedarfe bereits im frühkindlichen Bereich valide identifizieren zu können, setzen die Christdemokraten auf zusätzliche wissenschaftliche Unterstützung durch die Bildungsforschung. In der Governance fordern die Christdemokraten überdies eine verstärkte ressortübergreifende Zusammenarbeit von „Bildungs-, Familien- und Sozialpolitik“ sowie ein engeres Zusammenwirken von „Bund, Länder(n) und Kommunen“.
Insgesamt setzen sich die Unionsparteien für verbesserte Rahmenbedingungen bei der Erfassung sozialer Ungleichheit im Bildungswesen ein. Zentraler Vorschlag ist hierbei „ein bundesweites Bildungsverlaufsregister über alle Stufen formaler Bildung“, zu dem die Forschung einen „regelhaften Zugang“ erhalten soll. Als ersten Schritt für eine gelingende Umsetzung des Registers kündigen CDU und CSU die Einführung „eine(r) ländergemeinsame(n) datenschutzkonforme(n) Identifikationsnummer für alle Schülerinnen und Schüler (Schüler-ID / Statistik-ID)“ an. Wie die Parteien, die bei der Bereitstellung von Daten zurückhaltend agierenden Länder von einer Freigabe überzeugen wollen, bleibt allerdings offen.
Bündnis 90/Die Grünen – Zukunftsinvestitionen und bedarfsgerechte Finanzierung
Die Grünen setzen mit ihrem „Zukunftsinvestitionsprogramm Bildung“ auf „eine gemeinsame Bildungsoffensive“ von Bund, Ländern und Kommunen, die zum Ziel hat, den mit dem 20 Milliarden Euro teuren Startchancen-Programm begonnenen „kraftvollen Schub für mehr Bildungsgerechtigkeit“ für das gesamte Bildungssystem weiter auszubauen. Dabei betont Grünen-Politiker Kai Gehring, Vorsitzender des Bildungsausschusses im Bundestag, dass Chancengerechtigkeit im Bildungssystem nur durch „eine echte Bildungswende (…) auf allen Ebenen und in gesamtstaatlicher Verantwortung“ erreicht werden könne. Bestehen solle das Investitionsprogramm laut Gehring aus einer „Infrastrukturoffensive, eine(r) Fachkräfteoffensive für multiprofessionelle Teams und ein(em) Pakt für Zukunftskompetenzen“.
Die im Wahlprogramm vorgeschlagenen Maßnahmen für das Zukunftsinvestitionsprogramm schließen unmittelbar an das Startchancen-Programm an. So legen Bündnis 90/DieGrünen den Schwerpunkt auf den „Erwerb von Basiskompetenzen“, sprechen von „moderne(n) und barrierefreie(n) Schulgebäuden mit dichten Dächern, funktionierenden Toiletten und digital ausgestatteten Klassenzimmern“ sowie über zusätzliche „Stellen für Schulsozialarbeit, Schulpsychologie und Inklusion“.
Ähnlich wie der Großteil aller Parteien setzen Bündnis 90/Die Grünen überdies einen Schwerpunkt im Bereich der Sprachförderung ab der Kita. Schließlich legt die Partei laut Kai Gehring besonderen Wert auf die Stärkung von „Future Skills fürs 21. Jahrhundert“. Im Programm verweisen die Grünen in diesem Zusammenhang auf die Förderung „digitale(r) Fähigkeiten, Medienkompetenz, Bildung für nachhaltige Entwicklung und politische(r) Bildung“.
Damit die Unterstützung da ankommt, wo sie am meisten gebraucht wird, benötigt es eine Finanzierung, die an den tatsächlichen Bedarfen vor Ort ausgerichtet ist. Wer in den Arbeitsmarkt einmündet, sollte die Future Skills fürs 21. Jahrhundert mitbringen. -Kai Gehring
Für den Bereich der frühkindlichen Bildung fordern die Grünen eine Erhöhung der Investitionen und die Schaffung „eine(r) gute(n) und verlässliche(n) Betreuungsinfrastruktur“. Dafür müsse laut Wahlprogramm vor allem das Problem der „Personalknappheit“ gelöst werden. Konkrete Maßnahmen, um diese zu reduzieren, seien „schulgeldfreie Ausbildungen, berufsbegleitende Anerkennungsverfahren, (eine) schnellere Anerkennung ausländischer Abschlüsse und flexiblere Weiterbildungen und Umschulungen“. Im Programm betont die Partei darüber hinaus, „ein besonderes Augenmerk auf Kitas mit einem hohen Anteil sozioökonomisch benachteiligter Kinder“ legen zu wollen. Wie diese Unterstützung in der Praxis konkret aussehen soll, bleibt offen.
Den administrativen Rahmen für das grüne Konzept bilden wie bei der CDU/CSU, der FDP und der Linken Veränderungen in der Steuerung des Bildungssystems. Dabei treten die Grünen für eine „engere Kooperation zwischen Bund und Ländern“ ein, was aus ihrer Sicht den Abbau verfassungsrechtlicher Hürden bei der Bildungsfinanzierung durch den Bund voraussetzt. Ziel müsse es sein, dass Bund und Länder gemeinsame Ziele definieren, was auch die Schaffung neuer Gemeinschaftsaufgaben im Grundgesetz mit sich bringe.
„Damit die Unterstützung da ankommt, wo sie am meisten gebraucht wird“ schlägt Gehring zudem „eine Finanzierung, die an den tatsächlichen Bedarfen vor Ort ausgerichtet ist“, vor. In ihrem „Zukunftsinvestitionsprogramm Bildung“ entwirft die Partei dafür einen sogenannten „Bedarfsschlüssel“ zur Verteilung von finanziellen Mitteln des Bundes auf die Länder, der sich aus Indikatoren wie Anzahl der Schüler:innen, Wirtschaftskraft der Länder vor Finanzausgleich, Sanierungsstau im Bereich öffentlicher Schulgebäude oder einem Index aus Unterversorgung mit Vollzeitäquivalent-Stellen für Lehrkräfte, schulpsychologische Versorgung und Schulsozialarbeit zusammensetzen soll.
Wie der Bund die Länder zur Bereitstellung der für eine solche Mittelverteilung notwendigen Daten bewegen möchte, bleibt offen. Auch der finanzielle Umfang, den die Grünen für ihr Investitionsprogramm aufbringen wollen, wird im Wahlprogramm nicht konkret beziffert. Zur Finanzierung ihrer umfangreichen Investitionspläne schlägt die Partei Einnahmen aus einem „gerechteren Erbschaftssteuersystem oder den Abbau klimaschädlicher Subventionen“ vor.
FDP – “Startchancen-Programm für Kitas” und Umdenken beim Föderalismus
Die Freien Demokraten betrachten Bildung in ihrem Wahlprogramm als zentrales gesellschaftliches Aufstiegsversprechen, „-unabhängig von sozialer Herkunft, Alter, Geschlecht, Religion, Bildungshintergrund der Eltern und Wohnort“. Analog zu einem Großteil des Parteienspektrums liegt der programmatische Schwerpunkt auf dem frühkindlichen Bereich. So formuliert Ria Schröder, bildungspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, das Ziel, „in der nächsten Legislaturperiode das Startchancen-Programm auch auf den Bereich der frühkindlichen Bildung in den Kitas“ auszuweiten.
Konkret möchte die FDP „bundeseinheitliche Kita-Qualitätsstandards fördern“ und damit die Rahmenbedingungen in der frühkindlichen Bildung verbessern. Um auch im Kita-Bereich Bedarfen vor Ort besser gerecht zu werden, schlagen die Liberalen die Einführung eines „bedarfsgerechten Betreuungsschlüssels“ vor, „der pädagogische Arbeit, administrative Aufgaben und Ausfallzeiten einberechnet“.
Zusätzlich wird zur Entlastung des Erziehungspersonals der verstärkte „Einsatz von multiprofessionellen Teams“ forciert und ein besonderer Schwerpunkt auf die Förderung von Sprachkompetenz gelegt. Als wichtige Maßnahme plädiert die FDP dabei, wie auch CDU und CSU, für „bundesweit verpflichtende und altersgerechte Sprachtests für alle Kinder im Vorschulalter. Grundsätzlich möchte die FDP eine Einschulung von ausreichenden Deutschkenntnissen abhängig machen, was anhand von „vorgelagerten Schuleingangsuntersuchungen und Sprachstandserhebungen“ festgestellt werden soll. Die Feststellung eines Förderbedarfs soll demnach „eine verpflichtende Sprachförderung für mindestens zwei Jahre vor Beginn der Schulpflicht“ nach sich ziehen.
Als administrative Grundlage für die Maßnahmen will die FDP den Fachkräftemangel in der frühkindlichen Bildung durch eine Modernisierung der „pädagogischen Aus-, Fort- und Weiterbildung“ bekämpfen. Dafür sollen laut Wahlprogramm unter anderem die Ausbildungskapazitäten erhöht werden. Um „eine ganzheitliche Verantwortung für den Bildungsweg von der Kita bis zum Bildungsabschluss in einer Hand zu gewährleisten“, schlagen die Liberalen zudem vor, das Handlungsfeld Kitas im Bund vom Familienministerium in die Zuständigkeit des Bildungsministerium zu überführen.
Wir sollten die Schulen jetzt erst einmal machen lassen und die Erkenntnisse der wissenschaftlichen Begleitung nutzen, um das Programm gegebenenfalls zu verbessern oder auszuweiten. Wir wollen zusätzlich ein Startchancen-Programm für die Kitas, um an diesen ersten Lernorten Kinder bereits gezielt zu unterstützen. -Ria Schröder
Auch im Schulbereich sehen die Freien Demokraten Verbesserungsbedarfe. So setzt die Partei laut Ria Schröder in Bezug auf das Startchancen-Programm zunächst darauf, „die Schulen jetzt erst einmal machen zu lassen“ und in Bezug auf mögliche Verbesserungen oder eine Ausweitung des Programms möglichst „die Erkenntnisse der wissenschaftlichen Begleitung (zu) nutzen“. Gleichzeitig fordert die FDP jedoch – wie auch die SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Linke – eine Ausweitung der im Programm implementierten Maßnahmen auf alle Schulen, legt den Schwerpunkt dabei allerdings nicht, wie auch CDU und CSU, auf eine bedarfsorientierte Mittelverteilung auf sozioökonomisch benachteiligte Schüler:innen.
In der praktischen Umsetzung betrifft das konkret Investitionen in die „Sanierung der Schulgebäude (…), die technische Modernisierung der Schulen“ im Rahmen eines Digitalpakts 2.0 sowie die Bereitstellung eines „frei einsetzbare(n) Chancenbudgets”, mit dem Schulen mehr Entscheidungsfreiheit, beispielsweise für „den Einsatz multiprofessioneller Teams, aber auch (…) Personalentscheidungen“, erhalten sollen. Inhaltlich setzt die FDP wie auch die Grünen auf eine Modernisierung der Lehrpläne, wobei neben der „wirtschaftlichen und finanziellen Bildung“, allen voran verstärkt „MINT-Themen, Demokratie und Politik sowie Medienkompetenz“ den Unterrichtsinhalt ausmachen sollen.
Als Grundbedingung für mehr Bildungsgerechtigkeit sieht die FDP wie die SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Linke vor allem Reformbedarfe in der aktuellen Ausgestaltung des Bildungsföderalismus. Dabei müsse es gelingen „einheitliche Standards und eine stärkere Rolle des Bundes in der Bildung“ zu implementieren. Das langfristige Ziel der FDP ist dabei „eine Änderung der Finanzverteilung zwischen Bund und Ländern“, damit der Bund seinen Verpflichtungen bei der Bildungsfinanzierung gerecht werden könne. Bis zu einer Reform plädieren die Liberalen dafür, dass der Bund bildungspolitische „Vorhaben ausnahmsweise im Rahmen der Kompetenzzuweisung des Grundgesetzes“ unterstützen solle.
AfD – Leistungsprinzip und getrennte Beschulung von Migrant:innen
Das mit „Mut zur Leistung” überschriebene bildungspolitische Wahlprogramm der AfD stellt – im deutlichen Gegensatz zu den Programmen der anderen im Bundestag vertretenen Parteien – nicht etwa das Thema Bildungsgerechtigkeit, sondern vor allem den individuellen Leistungsgedanken in den Vordergrund.
So befürwortet die Partei ausdrücklich ein „nach Begabungen differenziertes”, mehrgliedriges Schulsystem, „das dem unterschiedlichen Leistungsvermögen der Schüler gerecht wird”. Gemeinschafts- sowie Ganztagsschulen lehnt die Partei folglich ab, Förderschulen sollen im Sinne einer “Inklusion mit Augenmaß” weiter erhalten bleiben. „Inklusion und Integration in dem heutigen Verständnis und der heutigen Anwendung ist zu unterbinden”, erklärt Nicole Höchst, bildungspolitische Sprecherin der AfD-Fraktion im Bundestag.
Einen besonderen Fokus setzt die AfD in ihrem Wahlprogramm im Bereich „Migration und Bildung”, wobei die Integration von Kindern mit Einwanderungsgeschichte als zentrale Herausforderung für das deutsche Bildungssystem verstanden wird. „Fehlende Vorbildung, mangelnde Sprachkenntnisse und kulturelle Differenzen verhindern in vielen Fällen eine erfolgreiche Qualifizierung für den deutschen Arbeitsmarkt”, attestiert die Partei. Konkrete Nachweise oder Belege für diese Problemdiagnose sind dabei weder im Wahl-, noch im Parteiprogramm der AfD zu finden.
Gegenmaßnahmen fordert die Alternative für Deutschland dennoch, vor allem im Bereich der Grundschulbildung – etwa durch die Einführung eines verpflichtenden Vorschulprogramms für die Klassenstufen 1 bis 4, das die getrennte Beschulung von Kindern ohne ausreichende Deutschkenntnisse an Volkshochschulen vorsieht. „Kinder mit Deutschkenntnissen und Kinder ohne Deutschkenntnisse sind getrennt zu unterrichten”, betont Höchst. Grundsätzlich sei die „Flutung von Schulen mit ausländischen Schülern ohne Deutschkenntnisse” zu problematisieren. Ob ein solcher Vorschlag zur getrennten Beschulung von Kindern mit Einwanderungsgeschichte aus völker- und verfassungsrechtlicher Sicht zulässig wäre, ist allerdings höchst fraglich.
Inklusion und Integration in dem heutigen Verständnis und der heutigen Anwendung ist zu unterbinden. Kinder mit Deutschkenntnissen und Kinder ohne Deutschkenntnisse sind getrennt zu unterrichten, getrennt für den gemeinsamen Erfolg, getrennt für eine Zukunft mit Anspruch. -Nicole Höchst
Vorschläge anderer Parteien zur Bekämpfung des Fachkräftemangels an Schulen – darunter die Förderung multiprofessioneller Teams oder die Anwerbung von Quereinsteiger:innen – lehnt die AfD grundsätzlich ab. „Die Lehrberechtigung, welche früher innerhalb einer eindeutigen und noblen Feier erteilt wurde, wird zum inflationären Gebrauchsgegenstand aufgrund von Inklusion und Integration erniedrigt”, erklärt Höchst. „Jeder Dahergelaufene soll Lehrer werden können.” Die AfD will stattdessen den Lehrer:innenberuf an sich „attraktiver” machen – vor allem durch die Abschaffung von Integrationsmaßnahmen, welche die Partei als „Überfrachtung” des Lehrberufs versteht, sowie durch erweiterte Disziplinarrechte für Lehrkräfte.
Mit Blick auf das Startchancen-Programm fällt das Urteil der AfD ähnlich eindeutig aus: „Das Startchancen-Programm ist ein Witz”, erklärt Höchst. So sei das 20 Milliarden Euro schwere Programm vor allem aufgrund seiner Begrenzung auf zunächst 4.000 Schulen „ungeeignet, ungerecht und zum Scheitern verurteilt”. Stattdessen fordert die AfD die Einrichtung eines kommunalen Schulinvestitionsfonds aus Bundesmitteln in Höhe von 35 Milliarden Euro. Zu Bedenken wäre dabei allerdings, dass die Mittel aus einem solchen Investitionsfonds nach Artikel 104c GG, im Gegensatz zum Startchancen-Programm mit seinen drei Säulen, ausschließlich für infrastrukturelle Ausgaben wie z.B. Schulsanierungen aufgewendet werden dürften – und nicht etwa für die Bezahlung zusätzlicher Lehrkräfte. Zur Finanzierung des vorgeschlagenen Programms hat sich die AfD bislang nicht geäußert.
Die Linke – Eine “Schule für alle” und Sondervermögen für Bildungsinvestitionen
Auch die Linke setzt in ihrem Wahlprogramm einen besonderen Schwerpunkt im Bereich frühkindlicher Bildung – und geht dabei deutlich weiter als die anderen im Bundestag vertretenen Parteien. So fordert die Partei unter anderem den Ausbau und die konsequente Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen kostenlosen Kitaplatz, einen deutlich besseren Betreuungsschlüssel in Kindertagesstätten sowie kostenlose Mittagessen in allen Kitas und Schulen. Die dafür benötigten zusätzlichen Fachkräfte sollen laut Wahlprogramm vor allem durch höhere Tariflöhne in Sozial- und Erziehungsberufen sowie die Erleichterung des Zugangs zur Erzieher:innenausbildung gewonnen werden.
Das Thema Bildungsgerechtigkeit spielt im Wahlprogramm der Linken ebenfalls eine zentrale Rolle. „Die Bildungseinrichtungen reproduzieren die soziale Ungleichheit. Das beginnt schon beim baulichen Zustand und der Ausstattung von Schulen in ärmeren Vierteln”, erklärt ein Sprecher der Partei auf Nachfrage. In ihrem Programm kritisieren die Linken das „stark gegliederte deutsche Schulsystem“ und die nachweislich Bildungsungleichheit verstärkende Trennung von Schüler:innen nach der vierten oder sechsten Klasse.
Gymnasien, Real- und Hauptschulen sollen daher bundesweit durch eine gemeinschaftliche „Schule für alle” – inklusive gesetzlich garantierter Ganztagsbetreuung und kostenloser Lehrmittel zur Entlastung der Familien – ersetzt werden, was aufgrund der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung durch den Bund aktuell allerdings nicht umsetzbar wäre. Daneben setzt sich die Partei, ähnlich wie die Parteien der ehemaligen Ampel-Regierung, für den Ausbau multiprofessioneller Teams und für eine bedarfsgerechtere Betreuung der Schüler:innen ein.
Im Bildungsföderalismus sieht die Linke – wie auch Grüne und SPD – eine gegenwärtige Hürde für die Verringerung von Bildungsungleichheit in Deutschland. Das aktuelle Kooperationsverbot will die Partei daher durch ein neues „Bildungsrahmengesetz” ersetzen, welches „länderübergreifende Bildungsstandards, gleiche Rechtsansprüche und personelle Rahmenbedingungen”, garantieren soll, so der Sprecher, wobei auch hier verfassungsrechtliche Hürden bestehen würden.
Das Startchancen-Programm der Ampel-Regierung bezeichnet die Partei als eindeutig nicht ausreichend. „Es freut uns für jede Schule, die davon profitieren kann”, erklärt der Sprecher, der Natur eines solchen Förderprogramms nach profitierten „aber eben nicht alle Schulen und die geförderten nur eine begrenzte Zeit”. Daneben sieht die Partei auch die ihrer Ansicht nach wenig zielgenaue Verteilung der Startchancen-Mittel als Schwäche. Tatsächlich hätte sich der Verteilschlüssel der Startchancen-Gelder letztlich als nur leichte Abwandlung des Königsteiner Schlüssels entpuppt.
Für den Erfolg des ausgerufenen ,Jahrzehnts der Bildungschancen‘ ist das Startchancen-Programm nicht ausreichend. Es freut uns für jede Schule, die davon profitieren kann. Der Natur eines solchen Förderprogramms nach profitieren aber eben nicht alle Schulen und die geförderten nur eine begrenzte Zeit. -Sprecher, Die Linke
Zugleich seien, so der Sprecher, eben nicht alle Säulen des Startchancen-Programms über den Sozialindex finanziert – obgleich dies in der öffentlichen Kommunikation „oft suggeriert” werde. „Strukturelle Probleme bzw. systemische Fehlstellen” im Schulsystem würden demnach nicht ausreichend durch das Programm abgedeckt. Von der wissenschaftlichen Begleitung erhoffe man sich aber, dass eben diese künftig besser erkannt und angegangen werden können.
Alternativ schlägt die Linke laut Wahlprogramm deutlich höhere Neuinvestitionen im Bildungsbereich vor. So sollen im Rahmen eines „sozial-ökologischen Investitionsprogramms” für die Sanierung von Bildungseinrichtungen und die Gewinnung neuer Lehrkräfte und Erzieher:innen künftig 70 Milliarden Euro jährlich aufgewendet werden. Darüber hinaus fordert die Partei die sofortige Einrichtung eines Sondervermögens von 100 Milliarden Euro, „um sofort mit der Sanierung maroder Schulen, Neubauprogrammen und der Modernisierung von Schulgebäuden beginnen zu können”, wie der Sprecher erklärt.
Zur Finanzierung ihrer durchaus ambitionierten Pläne schlägt die Partei neben der Abschaffung der Schuldenbremse vor allem umverteilende Steuermaßnahmen vor – darunter die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, eine Reform der Erbschafts- und Schenkungssteuer, sowie die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Insgesamt scheinen die Pläne teils schwer mit realpolitischen Voraussetzungen in Einklang zu bringen zu sein, was vielleicht auch damit zu erklären ist, dass eine Regierungsbeteiligung nicht angestrebt wird.
BSW – Bildungsföderalismus reformieren und Entlastung von Lehrkräften
Während das Thema Bildungsungleichheit durchaus eine übergeordnete Rolle im Wahlprogramm des BSW spielt, gestalten sich die Lösungsvorschläge des Bündnisses teils weniger konkret als bei den anderen im Bundestag vertretenen Parteien. „Weder haben Kinder und Jugendliche unabhängig von ihrer Herkunft zumindest annähernd gleiche Bildungschancen, noch werden individuelle Talente und Begabungen systematisch gefördert”, heißt es im Wahlprogramm des BSW. „Kaum in einem anderen westlichen Land hängen die Bildungschancen der Kinder so stark vom sozialen Status ihrer Eltern ab wie in Deutschland.”
Um der Verknüpfung von sozialer Herkunft und Bildungschancen entgegenzuwirken, setzt sich die Partei unter anderem für den Ausbau von Ganztagsschulen, Hort- und Hausaufgabenbetreuung ein. In welchem Umfang dies geschehen soll und inwiefern ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung davon abzuleiten ist, geht aus dem Wahlprogramm allerdings nicht hervor. Außerdem will das BSW, wie auch die Linke und die ehemaligen Ampel-Koalitionäre, das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern „mit dem Ziel der Bildungsgerechtigkeit” reformieren. Stattdessen setzt die Partei auf ein – bereits zur letzten Bundestagswahl von der Linken inklusive heutigen BSW-Mitgliedern eingebrachtes – „Bildungsrahmengesetz”, durch das „vergleichbare Rahmenbedingungen, Rechtsansprüche und hohe qualitative Standards in allen Bundesländern” geschaffen werden sollen. Auch hier stellt sich, ähnlich wie bei der Linken, allerdings die Frage der Verfassungsmäßigkeit.
Hinsichtlich der Diskussion um die Ausgestaltung der Schulstruktur bekennt sich das BSW grundsätzlich zum bestehenden mehrgliedrigen Schulsystem, will zugleich aber ein „längeres gemeinsames Lernen” ermöglichen. „Unterschiedliche Schultypen als Voraussetzung für unterschiedliche spätere Ausbildungswege sind grundsätzlich sinnvoll, soziale Selektion nach dem Elternhaus ist es nicht”, heißt es diesbezüglich im Wahlprogramm der Partei. Wann genau die Trennung von Schüler:innen aus Sicht des BSW erfolgen soll, bleibt dabei unklar.
Das Kooperationsverbot im Bildungsbereich zwischen Bund und Ländern muss mit dem Ziel der Bildungsgerechtigkeit in den Ländern aufgehoben werden. Damit wird ein Beitrag zum Ende der Bildungskleinstaaterei geleistet. -Wahlprogramm des BSW
Im Bereich der frühkindlichen Bildung fordert das Bündnis zunächst die kurzfristige Senkung von Kita-Beiträgen, will mittelfristig aber eine vollständige Beitragsfreiheit erreichen. Außerdem will die Partei, ähnlich wie die CDU/CSU und die FDP, die Einführung verpflichtender Sprachtests für Kinder im Vorschulalter vorantreiben und bei mangelnden Deutschkenntnissen „den verpflichtenden (beitragsfreien) Besuch einer Kita mit zusätzlichen Angeboten zu Integration und Sprachbildung” ermöglichen.
Darüber hinaus sieht auch das BSW die Überlastung vieler Lehrer:innen als zentralen Grund für den akuten Fachkräftemangel im Bildungsbereich. „In den vergangenen Jahren sind Lehrer immer mehr mit zusätzlichen Aufgaben belastet worden, wie IT-Management, Schulorganisation und psychologischer Beratung”, heißt es im Programm zur Bundestagswahl. „Die Lehrer müssen von fachfremden Aufgaben entlastet werden und sich wieder auf das Unterrichten konzentrieren können.” Umsetzen will die Partei diese Forderung durch das Einstellen „unterstützender Teams für die Alltagsarbeit an den Schulen” sowie das Anwerben von Quereinsteiger:innen durch bessere Arbeitsbedingungen als kurzfristige Überbrückungsmaßnahme. Außerdem will die Partei die Möglichkeiten dualer Ausbildungsformen zum Lehrer:innenberuf ausschöpfen – konkrete Vorschläge liegen diesbezüglich jedoch noch nicht vor.
Fazit – Die Positionen der Parteien im Vergleich
Das Thema Bildungsungleichheit steht bei fast allen Parteien – ausgenommen der AfD – auf der politischen Agenda und soll durch die Implementierung unterschiedlicher Maßnahmen verringert werden. Konzeptionell gibt es zunächst einen zentralen Überschneidungspunkt. So legen – bis auf die AfD – alle Parteien ihren Fokus auf die frühkindliche Bildung und fordern den Ausbau von Kita-Plätzen, bei CDU/CSU und FDP ist sie sogar das zentrale bildungspolitische Wahlkampfthema. Während CDU/CSU, FDP und BSW auf verpflichtende Sprachtests im Vorschulalter setzen, stellen SPD und Grüne die Entwicklung von Qualitäts- bzw. Mindeststandards als zentrale Maßnahme in den Vordergrund. Die Linke und das BSW fordern als einzige zwei Parteien die vollständige Befreiung von Kita-Beiträgen.
Im Gegensatz zur CDU/CSU und der FDP sehen die SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Linke auch nach der Implementierung des Startchancen-Programms Bedarfe bei der Bekämpfung sozialer Ungleichheit in der Schulbildung. So setzen sich zwar auch CDU/CSU und FDP grundsätzlich für den Erwerb digitaler „Zukunftskompetenzen“ im Unterricht und für Investitionen in die Schul- und Unterrichtsentwicklung sowie im Schulbereich ein; außen vor lassen die Christdemokraten und die Liberalen im Gegensatz zu den anderen drei Parteien und zu ihren eigenen Konzepten für den Kita-Bereich jedoch eine bedarfsgerechte Verteilung der Finanzmittel.
Einig sind sich fast alle Parteien bei der Notwendigkeit, den Ganztag auszubauen. Nur die AfD spricht sich explizit dagegen aus, bei der FDP findet der Ganztag im Programm keine Erwähnung. Nur die Linke und das BSW stellen die Frage nach einer Reform der Schulstruktur.
Über den Autor
Jakob Geweke ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Recht und Steuerung im Kontext sozialer Ungleichheiten im Projekt „Expert:innenforum Startchancen“ und leitender Redakteur des Startchancen-Blogs. Seine Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Vergleichende Politikwissenschaft, Public Policy und Public Administration mit den Schwerpunkten Politik und Recht und Bildungspolitik. Zuvor absolvierte er ein Masterstudium in Public Policy and Administration an der London School of Economics and Political Science (LSE).

Positiv auf das Startchancen-Programm beziehen sich wenig überraschend die Programme der drei Ampel-Parteien. Insbesondere die Konzepte von FDP und Grünen bauen dabei auch konzeptionell auf den drei Säulen des Startchancen-Programms, Schulbau, Chancenbudget und der Unterstützung multiprofessioneller Teams, auf. Während die Unionsparteien das Startchancen-Programm dafür kritisieren, dass es an der falschen Stelle in der Bildungsbiographie ansetze, moniert die Linke als einzige Partei Schwächen bei der vorgeblich bedarfsgerechten Mittelverteilung im Programm, die bei einer Vergleichsrechnung doch eher dem Königsteiner Schlüssel ähnele. Allein für den Schulbau fordert die Linke ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro. Bei einem Investitionsrückstand in der Schulinfrastruktur, der laut KfW 54,8 Milliarden Euro beträgt, sicherlich keine schlechte Idee – in Zeiten von Austerität jedoch wohl leider eine politische Utopie.
Eine Außenseiterrolle spielt auch im Schulbereich die AfD. Während die strikte Segregation im Schulsystem „nach Begabungen” und die Ablehnung des Ganztages aus einer wissenschaftlichen Perspektive fragwürdig erscheinen, und die Ablehnung von Inklusion gegen die UN-Behindertenrechtskonvention verstößt, sät die getrennte Beschulung von Kindern „mit (…) und ohne Deutschkenntnisse” ernsthafte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Programmatik der Alternative für Deutschland.
Über den Autor
José-Luis Amsler ist studentischer Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Recht und Steuerung im Kontext sozialer Ungleichheiten im Projekt „Expert:innenforum Startchancen“. Nach einem Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin und der Indiana University Bloomington studiert er aktuell an der University of North Carolina at Chapel Hill Politikwissenschaft und Politische Soziologie mit den Schwerpunkten soziale Ungleichheit und Wahlverhalten.

Ganz im Gegensatz zur AfD forcieren insbesondere die CDU/CSU, die Grünen und die Linke eine verstärkte Kooperation mit der Bildungsforschung. Während die Grünen wissenschaftliche Expertise im Zuge der Konzeptionierung einer bedarfsgerechten Allokation von Fördermitteln zu Rate ziehen wollen, geht es den Unionsparteien primär um die Identifikation von Förderbedarfen im Vorschulalter, während die Linke sich von der wissenschaftlichen Begleitung neue Erkenntnisse hinsichtlich systemischer „Fehlstellen” im Bildungssystem erhofft. Eine wichtige Grundlage für den evidenzbasierten Abbau sozialer Ungleichheiten im Bildungssystem wäre zudem das von der Union geforderte Bildungsverlaufsdatenregister.
Auch standen die administrativen Rahmenbedingungen für ein chancengerechteres Bildungssystem im Mittelpunkt der Programme. Überwiegende Einigkeit besteht zwischen der FDP, den Grünen, der Linken und dem BSW bezüglich eines grundsätzlichen Reformbedarfs in der aktuellen rechtlichen Ausgestaltung des Bildungsföderalismus. Dabei sind sich die Parteien darüber einig, dass der Bund verfassungsrechtlich mehr Möglichkeiten in der Bildungsfinanzierung erhalten sollte und bundeseinheitliche Bildungsstandards geschaffen werden müssten.
Schließlich ergeben sich zwischen den Parteien noch Unterschiede bei der Finanzierung der von ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen. So machen CDU/CSU, FDP und AfD in ihren Programmen jeweils keine Angaben zur Finanzierungsgrundlage ihrer Vorschläge. Die SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Linke geben hingegen eine Reform der Erbschaftssteuer und der Schuldenbremse als Grundlage für höhere Ausgaben an. Zusätzlich berufen sich die Grünen auf Mehreinnahmen durch den Abbau „klimaschädlicher Subventionen und die Linke auf die (Wieder-)Einführung der Vermögens- und Finanztransaktionssteuer.
- Die Reihenfolge der aufgeführten Parteien orientiert sich an der Sitzverteilung im aktuellen Bundestag. Unsere Fragen zum Thema Bildungsungleichheit haben wir allen im Bundestag vertretenen Parteien zukommen lassen, bis auf das BSW haben uns alle vor erscheinen des Beitrags geantwortet. ↩︎