Unter dem Titel „Startchancen für Bildungsarmut!?“ veröffentlichten wir kürzlich einen Zwischenruf von Michael Wrase zur Einbeziehung von Förderschulen im Startchancen-Programm. In diesem Kommentar auf den Beitrag schildert Cordula Heckmann, Gründungsdirektorin Campus Rütli und Vorsitzende des Fachbeirats Inklusion in Berlin, ihre Sicht auf die Problematik.
Gerne möchte ich als Schulpraktikerin und jahrelange Leiterin einer inklusiven Regelschule den Zwischenruf von Professor Wrase unterstützen. Das gegliederte Schulsystem zusammen mit den Förderschulen hat in Deutschland eine jahrhundertelange Tradition und ist damit fest in unserer nationalen DNA verankert.
Noch immer existiert in den Köpfen vieler Praktiker:innen, wie auch in denen der politisch Verantwortlichen, der feste Glaube, dass der Überforderung der Schulen und der Förderung von Kindern mit besonderen Bedarfen am besten mit ihrer Separierung zu begegnen sei. Das entspricht, wie Professor Wrase ausführlich dargelegt hat, mitnichten den Erkenntnissen der Bildungsforschung oder Forderungen, die auch aus Wirtschaftsverbänden zu hören sind – und auch nicht meiner eigenen persönlichen Erfahrung.
Schulen sollten Orte der Akzeptanz sein
Gerade Schulen sind Orte, wo die Akzeptanz von Verschiedenartigkeit sehr gut eingeübt werden kann. In der Trennung der unterschiedlichen Schülergruppen gelingt es eben nicht, alle Möglichkeiten des von- und miteinander Lernens der Schüler:innen bestmöglich zu nutzen. Darum aber muss es gehen, wenn wir um mehr Bildungsgerechtigkeit ringen. Die vielbeschworene Teilhabe aller am gesellschaftlichen Leben kann nur im Miteinander erreicht werden. Je rauer die bildungspolitische See wird, desto mehr läuft das System Gefahr, in alte Reflexe zurückzufallen und den Anker in Altbewährtem zu suchen. Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenkonvention haben wir uns aber als Gesellschaft verpflichtet, einen Paradigmenwechsel vorzunehmen, um die gleichberechtigte Teilhabe aller zu gewährleisten.
Die UN-Behindertenkonvention ist ein Versprechen an viele Menschen, die darauf hoffen, sichtbarer und lebendiger Teil dieser Gesellschaft zu sein. Dieses Ziel müssen wir mit großem Elan und Tempo verfolgen, um zu verhindern, weiterhin jedes Jahr Bildungsverlierer zu produzieren, um anschließend diese Ergebnisse laut zu beklagen
Cordula Heckmann
Meine praktischen Erfahrungen an einer inklusiven Regelschule bestätigen anhand vieler individueller Schicksale das von Professor Wrase Dargelegte. Viele der Schüler:innen mit Förderstatus LSE (Lernen, Sprache, soziale und emotionale Entwicklung) verlassen seit Jahren die Rütli-Schule mit einem allgemeinbildenden Abschluss und einer Schullaufbahn, die sie nicht stigmatisiert. Das hat bei allen Mühen des Alltags und dem Ärger über eine manchmal träge Verwaltung immer wieder Mut gemacht. Es gibt noch mehr Schulen, die dafür beispielhaft stehen. Diese Schulen zeigen auf, wie es gelingen kann, den Vorgaben des Artikels 24 der UN-Behindertenkonvention gerecht zu werden. Bei diesen Anstrengungen müssen die Schulen von Politik und Verwaltung gesehen und unterstützt werden.
Auch in meiner neuen Funktion als Vorsitzende des Fachbeirats Inklusion möchte ich die berechtigten Anliegen der Kinder und Eltern laut machen, die unser besonderes Augenmerk verdienen. Die UN-Behindertenkonvention ist ein Versprechen an viele Menschen, die darauf hoffen, sichtbarer und lebendiger Teil dieser Gesellschaft zu sein. Dieses Ziel müssen wir mit großem Elan und Tempo verfolgen, um zu verhindern, weiterhin jedes Jahr Bildungsverlierer zu produzieren, um anschließend diese Ergebnisse laut zu beklagen.
Das Startchancen-Programm der Bundesregierung bietet dafür eine große Chance und es muss der Auftrag dieses Programms sein, das inklusive Lernen mit einer mutigen, klaren und entschiedenen Haltung in all seinen Entscheidungen zu befördern.